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KI und datengesteuerte Kampagnen: Eine Diskussion der Rolle generativer KI im politischen Wahlkampf

12/2023

1. Einleitung

In politischen Kampagnen geht es um die Vermittlung politischer Inhalte, Themen und Spitzenkandidaten. Rüdiger Schmitt-Beck hat zur Erforschung von Kampagnen und ihrer Effekte in vielen Publikationen in herausragender Weise beigetragen und das Feld der Kampagnenforschung maßgeblich definiert. Bis in die frühen 1990er Jahre hinein war Kampagnenforschung noch eine Teildisziplin der Wahl-, Parteien- sowie Medienforschung mit jeweils leicht unterschiedlichen Fragestellungen. Die Wahlforschung und die Medienforschung stellten die Frage nach der Wirkung von Kampagnen und in der Parteienforschung spielte die Rekrutierung und Selektion von Spitzenkandidaten eine Rolle.

Es ist vor allem den Arbeiten von Rüdiger Schmitt-Beck zu verdanken, dass die Kampagnenforschung ein mittlerweile eigenständiges Forschungsgebiet darstellt. Der Titel seiner wegweisenden Habilitationsschrift (2000) beschreibt auch seine jahrzehntelange Forschungsagenda: Politische Kommunikation und Wählerverhalten. Im Fokus seiner Arbeiten steht die Frage des Wahlverhaltens und somit auch die Frage des Einflusses politischer Kommunikation auf Wählerinnen und Wähler. Die Nutzung unterschiedlicher Kommunikationskanäle spielt in Rüdiger Schmitt-Becks Arbeiten ebenfalls eine wichtige Rolle und er hat sich auch umfassend der Rolle und Bedeutung der interpersonalen Kommunikation gewidmet.

In unserem Beitrag zu seiner Festschrift möchten wir an seine Forschung und Fragestellungen anknüpfen und auf eine neue Herausforderung in der Kommunikation zwischen Parteien und Wählerinnen und Wählern eingehen, nämlich der von KI. Neue Technologien wie generative KI, d.h. Systeme, die autonom oder auf Anweisungen sinnige Texte, Bilder und Musik erstellen können, erweitern den Werkzeugkasten, ja das Waffenarsenal an verfügbaren Wahlkampfmitteln, haben aber auch Auswirkungen auf digitale Kampagnenumgebungen wie soziale Plattformen oder Online-Suchmaschinen. In diesen digitalen Kampagnenumfeldern können neue Formen der KI, basierend auf riesigen Basismodellen (engl. Foundation Models) und Large Language Models (LLMs), Mechanismen dieser Kommunikation verändern, da sie eine schnelle Verbreitung von Inhalten zu sehr geringen Kosten ermöglichen. Inzwischen imitieren diese Systeme menschliches Verhalten nahezu perfekt und übertreffen menschliche Leistungen sogar in vielen Anwendungsbereichen und Tests.

Wozu die durch Russland gesteuerte Kampagne im Zuge der US-Präsidentschaftswahlen 2016 (noch) ein ganzes Lager voller „Trolle“ brauchte, könnte mit Hilfe generativer KI-Systeme nun in noch größerem und automatisierteren Umfang möglich sein. In Bezug auf politische Kampagnen stellt sich daher die Frage, ob generative KI politische Kampagnen effektiver macht, oder ob sie die Contentflut in der digitalen Welt noch vergrößert, sodass es schwieriger wird, Aufmerksamkeit für Kampagnenaussagen zu gewinnen. Außerdem vereinfachen KI-Anwendungen als Analyse- und Codinghilfen den Einsatz von datengetriebenen Methoden und werden bereits zur Produktion von Falschaussagen und Deep Fakes verwendet.

In der internationalen Wahlkampfforschung wurde dieses Thema jüngst von Rachel Gibson und Andrea Römmele aufgenommen: Sie beobachten in Wahlkampagnen den Trend zu „data-driven campaigning“ (DDC), den Römmele und Gibson als die vierte Stufe der Kampagnenevolution bezeichnen. Wahlkampfentscheidungen und -schwerpunkte basieren nun auf der Grundlage von großen Datenmengen – werden allerdings noch von Menschen getroffen. Denkt man dies einen Schritt weiter, so würde ein KI-gesteuerter Wahlkampf ebenso auf großen Datenmengen beruhen, die Entscheidung würde aber die KI fällen, und nicht mehr der Mensch.

In diesem Artikel diskutieren wir daher die potenziellen Folgen aktueller generativer KI-Anwendungen für demokratische Wahlen und politische Kampagnen im Hinblick auf drei Gruppen von Akteuren: (1) organisierte Kampagnen, Kandidaten und politische Parteien, (2) von den Kampagnen formell unabhängige Akteure (Bürgerinnen und Bürger, NGOs, Verbände, oder auch andere Staaten), und (3) Governance-Akteure von Kampagnenumgebungen1. Abschließend geben wir einen Ausblick auf anstehende Wahlen und die Rolle, die generative KI spielen könnte. An dieser Stelle verzichten wir jedoch auf Spekulationen über weitere technologische Entwicklungen einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, also komplett unabhängiger Systeme, und konzentrieren uns auf die Implikationen der derzeit existierenden KI-Anwendungen als Werkzeuge für die unterschiedlichen zuvor genannten politischen Akteursgruppen.

2. Generative KI als Wahlkampftool

Generative KI entwickelt sich mit enormer Geschwindigkeit. In den letzten Monaten haben vor allem leichter zugängliche Schnittstellen zu Bild- und Textgeneratoren wie ChatGPT einen weltweiten Hype um die Fähigkeiten und Anwendungsmöglichkeiten dieser Art generativer KI ausgelöst.

OpenAI und andere Unternehmen haben en-masse Annotationen und Interaktionen mit Menschen genutzt, um die Basismodelle weiter zu trainieren und das sogenannte Alignment-Problem zu verringern, das darin besteht, dass sich ChatGPT und andere auf Foundation Models basierende Systeme zunächst in einer grundsätzlich rationalen, aber für Menschen unnatürlichen Art und Weise verhalten haben. Daher wurde ChatGPT mit Tausenden von menschlichen Annotationen trainiert, um so das Antwortverhalten an die Erwartungen menschlicher Kommunikationspartner anzupassen. Auch generative KI-Anwendungen zur Erstellung von Bildern und Videos sind inzwischen für die breite Masse an Nutzerinnen und Nutzern leicht zugänglich und unglaublich realistisch, was die Kosten für einfache Bild- und Videoproduktionen auf ein Minimum senkt.

Diese Entwicklungen werden erhebliche Auswirkungen auf politische Kampagnen und die mediale Berichterstattung haben. Noch tanzt die KI nicht, das heißt, sie ist nicht autonom und entwickelt ihre eigenen Algorithmen noch nicht weiter. Dies könnte jedoch schon in naher Zukunft der Fall sein. Im Jahr 2023 kann generative KI für politische Kampagnen wie für viele andere Bereiche ein mächtiges Werkzeug sein, indem sie textbasierte und visuelle Inhalte generiert und Unterstützung bei Datenanalysen bietet.

Sie verstärkt jedoch auch die bestehenden Risiken in Bezug auf digitale Medien als politische Kommunikationsumgebungen, wenn politische Akteure sich nicht an demokratische Normen und Werte in Bezug auf den Umgang mit politischen Gegnerinnen und Gegnern halten.

3. KI und datengesteuerte Kampagnen in der vierten Phase der politischen Kommunikation

In den zurückliegenden Jahren wurde viel über den Einsatz von datengesteuerten Methoden und KI in politischen Kampagnen diskutiert. Die sogenannte vierte Phase der politischen Kommunikation unterscheidet sich von den vorangegangenen Phasen dadurch, dass digitale Plattformen und datengesteuerte Methoden im Vergleich zu Kampagnen vor dem Aufkommen des Internets und der Social-Media-Plattformen viel präsenter und fortschrittlicher geworden sind. Unsere Gespräche mit Expertinnen und Experten sowie Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern im Rahmen des ERC-Projekts „DiCED – Digital Campaigning and Electoral Democracy“ zeigten, dass datengesteuerte Methoden eine politische Logik, die auf Intuition und Erfahrung von Wahlkampfexpertinnen und -experten beruht, ergänzen und manchmal auch mit ihr konkurrieren können. Expertinnen und Experten betonten jedoch, dass es keinen zentralen Algorithmus oder KI-Modell für Wahlkampfentscheidungen gibt, z. B. für die Verteilung der Werbeausgaben, die wichtigsten Wahlkampfbotschaften oder die Beschaffung von Wahlkampfmitteln. In Fällen, in denen fortschrittliche Vorhersagemodelle eingesetzt wurden, schnitten diese ähnlich oder sogar schlechter ab als etablierte sozialwissenschaftliche Methoden wie Umfrageforschung und Fokusgruppen zum Test wichtiger Kampagnenbotschaften und zur Identifizierung von Zielgruppen. Mit der leichteren Anwendbarkeit von generativen und analytischen KI-Methoden über Schnittstellen erwarten wir aber eine zunehmende Nutzung dieser Methoden durch Organisatorinnen und Organisatoren politischer Kampagnen und anderen politischen Akteuren, den ersten beiden der drei unterschiedlichen Gruppen, die wir in diesem Artikel untersuchen.

Auf digitalen Online-Plattformen werden seit Jahren komplexe KI-Modelle für die Moderation von Inhalten, genauer für die Empfehlung und Filterung von Inhalten, eingesetzt. Sie sind sehr effizient, wenn es darum geht, die verbrachte Zeit von Nutzerinnen und Nutzern auf einer Website oder Plattform zu maximieren und individuell passende Werbung auszuspielen, aber auch bei der Erkennung von illegalen und/oder gegen Richtlinien der Plattform verstoßenden Inhalten. Wir wissen jedoch, dass Social-Media-Plattformen wie Twitter während der Covid-19-Pandemie Beiträge, die Verschwörungserzählungen und impfskeptische Inhalte propagierten, nicht konsequent und erfolgreich gelöscht haben.

Digitale Plattformen sind zwar die Akteure, bei denen KI-Systeme die wichtigste Rolle spielen, da sie den Informationsfluss auf diesen Plattformensteuern. Doch es wird von entscheidender Bedeutung sein, wie die Plattformen bei der Erkennung von KI-generierten Inhalten wie Bildern, Videos oder Texten vor allem dann vorgehen, wenn diese irreführende, falsche Informationen enthalten oder es sich um bewusste politische Desinformation inländischer oder ausländischer politischer Akteure handelt.

3.1 Organisierte politische Kampagnen in einer sich verändernden Parteien- und Kommunikationssphäre

Digitale Plattformen wie soziale Medien und Online-Suchmaschinen sind zu wesentlichen Umgebungen für organisierte politische Kampagnen geworden und ermöglichen eine umfassendere Analyse von Daten. Im Hinblick auf die Nutzung datengesteuerter Methoden und neuer Technologien kann ihre Anwendung jedoch zu zwei verschiedenen Arten von Kampagnen führen, die Römmele und Gibson als „wissenschaftlich“ oder „subversiv“ beschreiben. Als Idealtypen bezeichnen sie eine wissenschaftliche Art von Kampagne, die verbesserte Analysen nutzt, um Wählerinnen und Wähler zu aktivieren und zu mobilisieren. Im Gegensatz dazu nutzt die subversive Art von Kampagnen spaltende Themen und Botschaften, populistische Reden und gezielte Werbung, um politische Konflikte zu verstärken und ggf. die Wählergruppen aktiv zu demobilisieren, die dazu neigen, für den politischen Gegner zu stimmen. Neue Technologien wie generative KI können diese Zweiteilung politischer Kampagnen in wissenschaftliche und subversive Kampagnen beschleunigen und eine Rolle in der effektiveren Ansprache mit konstruktiven, aber auch destruktiven Nachrichten spielen.

In Deutschland wählen Parteien Agenturen als enge Partner für die Erstellung von Kampagneninhalten und -strategien, für die digitale sowie analoge Kampagne. Zentrale Aufgabe der Agenturen ist es, gemeinsam mit der Partei Zielgruppen zu identifizieren und gezielte Werbung auf sozialen Medien wie Facebook, Instagram und TikTok (und seit Elon Musks Entscheidung, politische Werbung wieder zuzulassen, in Zukunft auch auf Twitter) sowie Online-Suchmaschinen wie Google zu schalten.

Ziel digitaler ebenso wie analog geführter Kampagnen ist die Kommunikation, der Austausch mit Wählerinnen und Wählern, insbesondere mit den noch Unentschlossenen. Diese Gruppe war 2021 für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich groß, und zwar aus mehreren Gründen: erstens nimmt die Parteibindung in den letzten Dekaden zunehmend ab; des Weiteren ging die „Ära Merkel“ zu Ende und viele ehemalige Merkel-Wählerinnen und -wähler schwankten unentschlossen zwischen den Parteien. Die kontinuierliche Kommunikation zwischen Parteien und Wahlkampfakteuren soll Wählerinnen und Wähler dazu bringen, Online-Newsletter über ihre zentrale Wahlkampf-Website zu abonnieren und Accounts von Kandidatinnen und Kandidaten und Parteien in den sozialen Medien zu folgen. Neben der Mobilisierung von Unterstützerinnen und Unterstützern geht die Nutzung von E-Mail-Newslettern aus Sicht der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer mit zusätzlichen analytischen Möglichkeiten einher, um Kampagnenbotschaften zu testen und potenzielle Wählerinnen und Wähler zu segmentieren.

Wählerinnen und Wähler konsumieren ihre Nachrichten mehr und mehr über soziale Medien. Dadurch haben visuelle Inhalte an Bedeutung und Quantität gewonnen. Durch die einfachere Verfügbarkeit von hochwertigen generierten Bildern erwarten wir daher eine weitere Zunahme der Nutzung visueller Inhalte und generativer Bildgenerierungs-Tools wie DALLE2, Midjourney und vieler anderer.

Während also generative KI die Kosten für die Produktion visueller Inhalte senkt, kann sie die Kosten für parteiinterne Teams zur Reaktion auf mögliche Krisen erhöhen, wenn es etwa darum geht, Posts über oder gegen die eigene Partei oder den Spitzenkandidaten entgegenzuwirken. Bei vergangenen Bundestags- und Europawahlen wurde eine Zunahme von Negative Campaigning beobachtet, also Videospots oder Posts und Anzeigen in den sozialen Medien, die den politischen Gegner persönlich angreifen, statt die eigenen politischen Ziele zu fördern. Dies ist in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern und insbesondere den USA, immer noch relativ unüblich, könnte aber mit dem verstärkten Einsatz von generativer KI zunehmen. Ein Beispiel, das in den letzten Monaten in Deutschland für Schlagzeilen sorgte, war ein generiertes Bild von arabisch aussehenden Männern mit wüten dem Gesichtsausdruck, das (mit einer irreführenden Bildunterschrift) von Politikern der in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) erstellt und mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu generieren, gepostet wurde.

Auch im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen 2024 nutzt die Kampagne um Ron DeSantis Deep Fakes und künstlich generierte Inhalte, um seinem Gegner um die republikanische Kandidatur, Donald Trump, zu schaden. Um eine Spirale unauthentischer Kampagneninhalte zu vermeiden, sollten sich Parteien und andere politische Akteure wie NGOs und Verbände auf öffentlich kommunizierte Richtlinien und einen gemeinsamen Kodex verständigen und sich an die festgelegten Regeln halten.

3.2 Von Parteikampagnen unabhängige Akteure (Bürgerinnen und Bürger, NGOs, Verbände und andere Staaten)

Digitale Werkzeuge und soziale Medien bieten auch weiteren Akteuren eine öffentliche Bühne, ihre Meinung über Parteien und Kandidatinnen und Kandidaten zu äußern, die Teil des Wahlkampfes sind. Bei diesen Akteuren handelt es sich um Parteianhängerinnen und -anhänger genauso wie um teilweise gut finanzierte unabhängige Nichtregierungsorganisationen, Industrieverbände oder Gewerkschaften. Es sind von der Kampagne formell unabhängige Akteure, die aber in einer Beziehung zur politischen Kampagne und den ihr zugrunde liegenden politischen Forderungen stehen, entweder unterstützend oder oppositionell. Während einige dieser Organisationen schon seit Jahrzehnten die Interessen ihrer Klientel vertreten, wurden andere erst in den letzten Jahren aktiv und führen in Wahlkampfzeiten Marketing- und Social-Media-Kampagnen durch, um die öffentliche Meinung über Parteien, Themen und Kandidatinnen und Kandidaten zu beeinflussen. Das Internet und die sozialen Medien ermöglichen darüber hinaus eine Art von bürgerinitiiertem Wahlkampf. Außerdem ermöglichen es Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter auch Parteianhängerinnen und -anhängern, die öffentliche Wahrnehmung und Sichtbarkeit von Botschaften offizieller politischer Kampagnenakteure zu beeinflussen. Zusätzlich dazu agieren Parteianhängerinnen und ‑anhänger und politische Akteure strategisch und versuchen mitunter, die Botschaften und Hashtags ihrer politischen Gegnerinnen und Gegner mit Hilfe sogenannter Hashjacking-Strategien für sich zu beanspruchen.

Hashjacking ist eine Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, Hashtags anderer Parteien oder Kandidatinnen und Kandidaten zu kapern. Darüber hinaus können ausländische Akteure wie die russische Internet Research Agency (IRA) auch Bots und nicht authentische Konten einsetzen um als „normaler“ Bürger oder Bürgerin aufzutreten und ihre bevorzugten politischen Kandidatinnen und Kandidaten zu unterstützen oder politische Gegnerinnen und Gegner verbal anzugreifen. Diese Kampagnen werden Astroturfing-Kampagnen genannt, also Kampagnen, die vorgeben einzelne Bürger zu sein, aber eigentlich durch Firmen, Gruppen oder ausländische Organisationen koordiniert sind. Zudem gibt es weitreichende wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es in der Vergangenheit bereits verschiedene Eingriffe in Wahlen, insbesondere durch russische Akteure wie die IRA, durch Desinformationskampagnen mit Hilfe gezielter Werbung und koordinierter Posts auf Social-Media-Plattformen gegeben hat.

Grundsätzlich können Desinformationskampagnen durch generative KI noch schlagfertiger werden und soziale Plattformen durch künstlich generierten Content sozusagen überfluten. KI-generierte Inhalte und Aktivitäten können auch dazu beitragen, eine Kampagne zum „Tanzen“ zu bringen und mehr Online-Sichtbarkeit zu erlangen, wenn auch auf zum Teil irreführende und nicht authentische Weise. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit von KI-generierten Inhalten bedenklich, Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen oder zu überzeugen, ihre politischen Positionen zu ändern. Die Wirksamkeit von Falschinformationen hängt aber hierbei stark von der Kontextualisierung der Informationen ab in der KI-Systeme jedoch immer besser werden.

Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass sektorübergreifende Task Forces bestehend aus verschiedenen Akteursgruppen politische Kampagnenumgebungen analysieren um frühzeitig koordiniertes unauthentisches Verhalten wie Desinformationskampagnen zu erkennen und schädigende generierte Inhalte zu entlarven, bevor sie ein breites Publikum auf Social-Media-Plattformen erreichen oder sogar von traditionellen Medien aufgegriffen werden. Außerdem bleibt nur zu hoffen, dass Wählerinnen und Wähler diejenigen, die sich subversiver Methoden bedienen, an der Wahlurne bestrafen werden. Hierzu ist neben einem Monitoring digitaler Kampagnensphären auch Medienberichterstattung und Fact-Checking, sowie politische Medienbildung der Bevölkerung unabdingbar.

3.3 Akteure der Governance digitaler Kampagnenumgebungen und Wahlen

Online-Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen bieten wichtige Umgebungen für Kampagnen, die eine umfassendere Analyse von Nutzerdaten ermöglichen als herkömmliche Medienkanäle. Sie werden daher in den kommenden Jahren mehr Ressourcen in die Aufdeckung von KI-generierten Inhalten und Fehlinformationen investieren müssen. Die Kernkompetenz von Plattformen wie Instagram oder X (vormals Twitter) ist die Empfehlung von Inhalten an Nutzerinnen und Nutzer und basiert auf algorithmischen Inhaltsmoderationssystemen. Generative KI wird die Genauigkeit der Inhaltsmoderation weiter verbessern, und wir gehen davon aus, dass auch die Erkennung schädlicher und irreführender Inhalte mit der steigenden Zahl generierter Inhalte und nicht authentischer Konten Schritt halten wird. Die Plattformbetreiber sollten flächendeckend über die zur Erkennung schädlicher generierter Inhalte verwendeten Methoden und Messgrößen berichten und sich mit Forschenden und politischen Entscheidungsträgern beraten, wie sie ihre Plattformen zu einem sicheren Umfeld für politische Kampagnen und konstruktive politische Debatten machen können. Denn letztendlich beeinflussen die Affordanzen der Plattformen wie Menschen miteinander in Kontakt treten und bestimmen die Mechanismen von Plattformen als wichtige Möglichkeitsräume politischer Partizipation.

Regulierungs- und Wahlbehörden wenden generative KI-Modelle möglicherweise nicht direkt an. Dennoch ist auch ihre Arbeit von technologischen Veränderungen wie generativer KI betroffen. So kann diese wie zuvor diskutiert zur Produktion von Falschmeldungen eingesetzt werden und Wahlkämpfe und Wahlkampfumgebungen empfindlich stören. Daher sollten Regulierungs- und Wahlbehörden Strukturen aufbauen, um sich auf technischer Ebene mit Wahlkampfteams, Plattformunternehmen und Entwicklern generativer KI zu koordinieren und mit ihnen kommunizieren. Außerdem wird der deutsche Koordinator für digitale Dienste (engl. Digital Service Coordinator, abgekürzt: DSC) die Bundesnetzagentur sein, die auch für die Telekommunikation zuständig ist und über technische Expertise innerhalb ihrer Institution verfügt. Darüber hinaus ist es wichtig sehr große Online-Plattformen (VLOPs) und sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSEs) zu verpflichten, gezielt über politische und wahltaktische Risiken ihrer Dienste zu berichten, und möglicherweise sogar ein kontinuierliches Wahlkampfmonitoring durch Plattformen unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure wie NGOs und auch staatlicher Institutionen wie dem Bundeswahlleiter einzuführen. Mit Blick auf die Zukunft, insbesondere wenn generative KI zu „tanzen“ beginnt, also autonomer wird, sich selbst verbessert und neu kodiert, müssen die zuständigen Behörden Systeme, die die digitale Öffentlichkeit schädigen verbieten, ihre Löschung verlangen oder durchführen, insbesondere in Wahlkampfzeiten.

4. Zusammenfassung und Fazit

Wir haben die leitende Forschungsfrage der Arbeiten Rüdiger Schmitt-Becks auf die neuen Herausforderungen in der Kampagnenkommunikation durch KI angewandt. Wir haben in diesem Kapitel dargelegt, dass die meisten Anwendungen der generativen KI zum Großteil effizientere und teilweise automatisierte Werkzeuge für alle Gruppen von Akteuren bereitstellen. Noch sind es keine autonom „tanzenden“ (= handelnden) Akteure.

Nichtsdestotrotz werden diese Werkzeuge erhebliche Auswirkungen auf Wahlkampagnen haben, und ihre Nutzung durch politische Akteure kann die Integrität von Wahlen in Frage stellen. Daher ist die Vereinbarung eines Wahlkampfkodex von organisierten Kampagnen und eine enge Koordinierung von Regulierungsbehörden und Anbietern digitaler Plattformen unerlässlich, um das Potenzial irreführender Inhalte und Desinformation zu begrenzen, die von generativen KI-Anwendungen und -systemen erzeugt und verbreitet werden. Von zentraler Bedeutung sind außerdem Mechanismen der Regulierung und die Sicherung von Online-Plattformen als algorithmisch moderierten Räumen und kritischen Infrastrukturen deren Schutz für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Demokratien und zur Gewährleistung fairer Wahlen unabdingbar ist.

Was die Regulierungsbehörden und die Wahlorgane betrifft, so raten wir zur Einrichtung von Task Forces zur Überwachung von online geführten Debatten und KI-generierten Inhalten während des Wahlkampfes bestehend aus NGOs, den großen sozialen Plattformen und empfehlen eine enge Zusammenarbeit mit den Koordinatoren für digitale Dienste (DSC), was in Deutschland die Bundesnetzagentur ist. Für diese Institutionen ist es von zentraler Bedeutung, eine Task Force für die heiße Phase des Wahlkampfes einzurichten, um sich mit den Akteuren der Zivilgesellschaft abzustimmen und unauthentisches Verhalten und Desinformationskampagnen zu erkennen und die entsprechenden Accounts und Netzwerke von Plattformen zu entfernen. Daher sollten die besagten Task-Forces aus Sicherheitsbehörden, Medienvertretungen, NGOs und Plattformen gebildet werden um gemeinsam (öffentliche) Kommunikationsinfrastrukturen zu monitoren und bei Bedarf gegen Falschinformationen und gezielte Desinformationskampagnen vorzugehen.

Die Einrichtung dieser Sicherheitsmechanismen wird entscheidend sein, um Störungen digitaler Kampagnenumgebungen zu verhindern und die Integrität kommender Wahlen wie der Europawahl und der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 sowie der Bundestagswahl in Deutschland im Jahr 2025 zu schützen und langfristig eine weitere Erosion des Vertrauens in den zentralen demokratischen Legitimationsmechanismus Wahlen zu verhindern.

Zur einfacheren Lesbarkeit wurden die Literatur- und Quellverweise entfernt.

Philipp Darius, Andrea Römmele in: Informationsflüsse, Wahlen und Demokratie, Festschrift für Rüdiger Schmitt-Beck; Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 76530 Baden-Baden; 2023

https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748915553-199/ki-und-datengesteuerte-kampagnen-eine-diskussion-der-rolle-generativer-ki-im-politischen-wahlkampf?page=1http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

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