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Überwachen und konsumieren – Kontrolle, Normen und soziale Beziehungen in der digitalen Gesellschaft – Teil 6

Bilder I: Die Optionsmaschinen, das Management der Normen und die Einschränkung der Auswahl

And pretty soon we become so dependent on our new tools that we lose the ability to thrive without them. Options become obligatory.

Daniel Dennett kritisiert im Zusammenhang mit einer Einschätzung zu Künstlicher Intelligenz technologische Entwicklungen und die Bereitschaft der Menschen diese anzunehmen. Eine mögliche Abhängigkeit ist eine dieser Konsequenzen. Das Zitat ist deshalb interessant, da Optionen, also (Aus-)Wahlmöglichkeiten, ein zentrales Element des Konsums sind. Die an- und ausgeführten Beispiele des letzten Kapitels (Smart Homes, Smart Cities, autonomes Fahren), im Grunde alle digital vermittelten Services und elektronischen Domestiken, werden über ein und dasselbe Interface bedient: das Smartphone. Man kann Vieles auch über den Computer machen, es zeigt sich aber, dass das Smartphone als kleiner, praktischer und ständiger Begleiter, der Schlüssel zum Alltag geworden ist. Dass es sich aus dem Telefon heraus entwickelt hat, gehört zu seiner Evolutionsgeschichte; mittlerweile ist es zum Allroundgerät geworden, über das die Menschen ihren Alltag organisieren. Mithilfe und über das kleine Gerät steht einem die Welt offen und es ist in der Tat die Verbindung zur ganzen Welt. Es bietet grenzenlose Möglichkeiten, so scheint es, aber bei genauerer Betrachtung ist es vor allem eine Optionsmaschine, über die paradoxerweise Auswahlmöglichkeiten eher eingeschränkt als neue Welten tatsächlich erschlossen werden.

In seinem Buch »The Burden of Choice« hat Jonathan Cohn auf nachvollziehbare Art und Weise die Zusammenhänge zwischen Konsum, digitalen Technologien und Konsequenzen für den Umgang mit Wahlmöglichkeiten (options, choices), Empfehlungen (recommendations) und Ratschlägen (suggestions) herausgearbeitet. Auf den Punkt gebracht sei die Konsumgesellschaft »the act of making choices ceases to be a performance of individuality and instead becomes an operation of conformity«. Ich würde anfügen, dass der Trick hierbei ist, diese Konformität zusätzlich noch als Ausdruck der Individualität zu verschleiern. Was er für den gesamten Bereich der Auswahl- und Empfehlungsalgorithmen ausführt und sehr anschaulich sowie kritisch darlegt, kann man so konzentriert auf das Smartphone anwenden. Letztlich sind das Gerät, das immer dabei ist und allein durch seine Größe ein paar Besonderheiten aufweist, sowie die Technologie, welches die Ströme bündelt, die für diesen Prozess nicht zu unterschätzen sind.

Smartphones sind Optionsmaschinen in der Hinsicht, dass dort über standardisierte Auswahlmöglichkeiten die Illusion einer vielfältigen und sehr persönlichen Auswahl erzeugt wird. Dabei schränken die Optionsmaschinen die Auswahl eher ein (oder kanalisieren diese), um die Qual der Wahl zu minimieren; bieten aber dennoch ein Interface an, welches das beständige Auswählen wie einen Akt von persönlicher Autonomie aussehen lässt. Das hat in mehrerlei Hinsicht mit dem Smartphone als Technologie, als Kulturgut und als Produkt von Unternehmen zu tun, die mehr als nur Telefongeräte bzw. hochleistungsfähige, tragbare Computer herstellen.

Wobei ein Smartphone als konkretes Artefakt, vor allem als Steuerungseinheit begriffen werden muss, über welche man auf die in der Lebenswelt eingewobene Digitalisierung zugreifen kann, wie z.B. in Autos und im gesamten Bereich der Mobilität. Und es hat mit den Algorithmen zu tun, die diesen Prozessen eine Struktur geben.

Für mein Argument, dass Überwachung unter den Bedingungen der Digitalisierung vor allem konsumiert wird – auch wenn das im Alltag weder so erscheint, noch genannt wird –, ist eine Betrachtung der Technologie und ihre Bedeutung innerhalb der Strukturen eines Überwachungskapitalismus, wie Shoshana Zuboff ihn skizziert hat, wichtig. Dabei sind Cohns Argumente ein wichtiges Element, auch weil sie ermöglichen, über die Mechanismen der Auswahl und eingeschränkten Optionen von einer Formatierung der Wirklichkeit zu sprechen, die eng mit den kulturellen Gegebenheiten und der technischen Ausgestaltung der Geräte zusammenhängt. Optionseinschränkungen sind ein offener Widerspruch zur im Konsumismus verankerten Wahlfreiheit und dem Überangebot an Waren, Möglichkeiten und Identitäten. Im Rahmen der Digitalisierung – insbesondere wenn man sich auf das von Zuboff entworfene Bild eines »Surveillance Capitalism« einlässt (andere sprechen von Plattformkapitalismus) – geht es dabei um die Monopolisierung von Angeboten und Plattformen durch die vorhandene Technologie innerhalb eines Konsumkapitalismus. Dabei gibt es einen manifesten Widerspruch zwischen den Möglichkeiten digitaler Technologien und den gemachten Eingrenzungen durch die großen Internetunternehmen – aber auch generell und ganz allgemein durch viele Anbieter.

Dieser Widerspruch fußt auf der Kontrolle von Wertschöpfungsketten, die bei digitalen Inhalten leichter als irgendwo sonst von einer Hand aus gesteuert werden können. Die Technologie selbst erlaubt, anders als es bisherige technische Plattformen im Zusammenspiel mit politisch-wirtschaftlichen Programmen getan haben, eine Konzentration verschiedener Stufen von Wertschöpfung, Normierung von Prozessen und der Verteilung von Produkten. Historisch gesehen gab es in der Vergangenheit ähnliche Konzentrationen auf verschiedenen Märkten, die aber jeweils wieder zerschlagen wurden – vornehmlich in den USA, aber auch anderswo. Ein Beispiel dafür ist die Filmindustrie, insbesondere das klassische Studiosystem Hollywoods, in der die Produktionsgesellschaften auch die Vertriebs- und Schaubetriebe (Kinos) kontrollierten. Letztlich sorgte ein Kartellrechtsverfahren 1948 für eine Aufteilung dieser Verwertungskette und u.a. auch dafür, dass dieses System bis Ende der 1960er Jahre keinen Bestand mehr hatte. Ähnlich erging es dem Telefonkonzern AT&T, der 1982 aufgrund von Antikartellgesetzen in die sogenannten »Baby Bells«, eine Reihe regionaler Telefongesellschaften, aufgeteilt wurde, womit dem einst größten Telefonkonzern der Welt seine allumfassende Macht genommen wurde. Diese Prozesse sind sicherlich nicht einfach auf die großen Internetkonzerne der Gegenwart übertragbar, dennoch lohnt es sich darauf zu schauen, wer welchen Teil der Produktions-, Inhalts-, Vertriebskette kontrolliert.

Im Zusammenspiel mit Digitalisierung und Konsumismus, in dem sich Identität, Milieu usw. auch über den Konsum bestimmter Services, Produkte, Nutzungsgewohnheiten von Technologien usw. konstituiert, ist es daher gewinnbringend sich diese Verbindungen näher anzuschauen. Im Sinne von Nassehi, der im Zusammenhang mit Digitalisierung danach fragt, welche Bedürfnisse dadurch befriedigt würden, könnte man anführen, dass der Erfolg der Digitalisierung ist, beständig neue Möglichkeiten bereitzustellen, die es den Menschen ermöglichen, modern im Sinne von »auf der Höhe der Zeit« zu sein. Die universelle, form- und funktionsunabhängige Anwendbarkeit digitaler Technologien erlaubt den ständigen Wandel der Angebote, der Trägertechnologien und mithin der gesellschaftlichen Einbettung.

Dabei erlaubt die Digitalisierung nahezu beispiellos weitreichende Strukturen für die Ausgestaltung von Macht und Herrschaft, vor allem über die Beherrschung des Marktes, die auf diesem Wege auch politisch nutzbar gemacht werden kann. Amazon, Google, Apple und Co sind sowohl die technischen Plattformen, als auch die Anbieter der Inhalte, die Zugangsermöglicher und Hersteller der Technologie sowie das Kaufhaus in einem. Darüber hinaus liegen die technischen Netze und viele der Rechenzentren, die für verschiedene Dienste nötig sind, selbst in ihren Händen oder in denen von anderen Multis. Wenn aber die Produktion und der Verkaufsweg von Inhalten, der über eine mutmaßlich öffentliche Infrastruktur vonstattengeht (was sie aber nur bedingt ist), als auch die Technologie selbst, mit der man diese Angebote auswählen kann –  wobei die Passgenauigkeit der Angebote durch die vorhandenen Informationen über die Nutzer:innen viele andere Optionen von vornherein ausschließt (was über die Verkaufs-, Musik-, Film- und Social Media Plattformen ermöglicht wird) –, dann besteht zumindest die Möglichkeit eigene Normen von dem, was angemessene Inhalte sind, selbst zu definieren.

Souverän ist hier, wer über den Normalzustand entscheidet, wie Nosthoff und Maschewski es sehr treffend formulieren. Das ist nicht neu, wenn man etwa die frühindustriellen Siedlungen in Europa oder die Miningtowns in den USA vergleicht, wo der Fabrikbesitzer bis hin zum Kirchenbesuch (und somit auch den Glauben) alles regulieren konnte – bei gleichzeitiger Drohung vom Ausschluss von den bisweilen eher geringen und häufig eher ausbeuterischen Segnungen der Zugehörigkeit. Herbert Schiller hat in »Information Inequalities« bereits betont, dass Unternehmen keine Zensur ausüben müssen, sondern einfach bestimmte Dinge nicht mehr anzubieten brauchen. Er bezog das damals auf die Monopolisierung öffentlicher Kommunikation, wobei im Namen der Freiheit, vor allem die Freiheit von Unternehmen garantiert würde und zwar so zu handeln, wie es für ihre Profitmaximierung vorteilhaft sei und nicht was die Freiheiten der Konsument:innen oder Nutzer:innen angehen würde. Grundlage der Freiheiten sind nicht länger Verfassungen und Gesetze, sondern die Geschäftsbedingungen der großen Unternehmen. Was bei Schillers Analyse vor allem den Medien- und Zeitungsmarkt betraf, gilt im Zuge der technischen und digitalen Entwicklung in ähnlicher Weise für die gegenwärtigen Technologie- und Internetunternehmen – nur eben auf einem wesentlich höherem Einschließungsniveau.

Wenn also die Wahl des Endgerätes über die Möglichkeiten von Inhalten entscheidet, weil Apple oder Samsung hier bestimmte Interfaces für die Welt vorgeben, dann ist das neu und hat Konsequenzen. Stellen Sie sich vor, ihr Auto sagt ihnen, dass Sie gerade einen bestimmten Weg nicht fahren können oder dürfen, andere hingegen diesen Weg vor ihren Augen einschlagen. Die Ideen zum autonomen Fahren sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ohne sich selbststeuernde Fahrzeuge die digitale Kontrolle bereits jetzt in den beweglichen Teilen der Infrastruktur enthalten ist. Die Betriebssysteme von Google oder Apple sind längst Teil automobiler Technologie und die Optionsmaschinen Bestandteil der Mobilitätsinfrastruktur. Das Selbstfahren könnte so auf eine Illusion von Freiheit geschrumpft worden sein, die vor allem der Vermarktung, nicht aber den notwendigen technischen Bedingungen dient. Bisher erlaubt die öffentliche Infrastruktur in Europa (Straßen, Strom, Wasser, Telekommunikation usw.) eine weitgehend ideologieneutrale Nutzung – was sich mit dem Internet und seinen weitreichenden Möglichkeiten der Datenverarbeitung und Vernetzung durchaus ändern könnte. Zumindest aber scheint es heute schon so zu sein, dass die Nutzer:innen in ihren Alternativen eingeschränkt sind, weil der Markt vor allem zwei Anbieter für Endgeräte bietet – die noch dazu vor allem Angebots-Auswahl-Maschinen sind und weniger eine Technologie darstellen, mit der man aktiv die Strukturen des Netzes beeinflussen kann. Dass sich Smartphones wenig dafür eignen, die genutzten Apps zu programmieren und die aktive sowie emanzipatorische Teilhabe an den digitalen Technologien sich eher auf das passive Auswählen beschränkt, verstärkt den Eindruck ihrer rein auf Konsum ausgelegten Beschränkung noch zusätzlich. Ohne diese Art der Einflussnahme ist ein, wie auch immer geartetes, digitales Empowerment und Selbstwirksamkeit im digitalen Raum kaum umsetzbar. Dazu müssen wir uns vor allem die Smartphones, als dominante technologische Erschließungs- und Erlebensform des digitalen Alltags, als eine Art Bedienungsoberfläche für die Welt in seinen vielen Aspekten vorstellen. Hierüber können Wünsche in vielfältiger Art und Weise gesteuert werden.

Zentral dafür ist ein Modus von Vergesellschaftung, der im Sinne eines vereinfacht gesagten »Ich-bin-was-ich-kaufe« funktioniert – wobei die potenziell mimetischen Prozesse der Angleichungen an andere Schichten oder Milieus eine nicht unbedeutende Rolle spielen, wie z.B. die Zurschaustellung von Reichtum über bestimmte Produkte ermöglicht wird, ohne selbst zu den »Reichen« zu gehören. Die oben bereits erwähnten Prozesse der Distinktion und die damit verbundenen Nachahmungspraktiken sind hier zentrale Elemente. Produkte des Massenkonsums haben schon immer Umdeutungen unterlegen. Ihre Aneignungen durch gesellschaftliche Gruppen, für die diese Produkte so nicht gedacht waren, sind wohl dokumentiert und untersucht. Die Folgen waren nicht zuletzt Neuordnungen von der Welt und Perspektiven zur Welt durch diese Gruppen. Die Entstehung der Cultural Studies, im Anschluss an Richard Hoggarts, Raymond Williams oder später auch Stuart Hall in England seit den 1950er Jahren, ist u.a. durch solche Perspektiven begründet.

Denkt man das Bild der Bedienungsoberflächen weiter, dann kann man die Gestaltung von Interfaces zur Welt auch analog zu Religionen setzen. Auch diese stellten – und stellen in begrenztem Umfang noch immer – Zugänge zur Welt dar, geben Regeln zu ihrer Handhabung vor und stiften den dazugehörigen Sinn. Der Vergleich zu Religionen ist nicht ganz zufällig hier, so präsentiert sich doch das Silicon Valley, das Zentrum des digitalen Kapitalismus; aus dem nicht nur die technischen Ideen für die Gegenwart stammen, sondern auch der ideologische Überbau; mitunter als Heilsversprechen auf eine bessere Welt. Bereits Richard Barbrook and Andy Cameron haben 1995 in ihrem Essay »Californian Ideology« auf diese Verbindungen hingewiesen.

Die Entstehungsgeschichte des Silicon Valley aus der Hippie- und New Age Bewegung ist eben kein Zufall. So sind viele Erzählungen rund um die digitalen Technologien auch Versprechungen und geradezu Erlösungserzählungen, die eine bessere Welt vorhersehen bzw. damit verbinden. Abgesehen von der Qualität dieser Erzählungen im Dienste technologischer Erlösungsbewegungen, wie viele Unternehmen mit ihren Visionen bisweilen erscheinen, ist der Aspekt der Formatierung von Wirklichkeit. Auch hier bieten sich Vergleiche zu Religionen bzw. religiösen Praxen an. So hat Adrian Lobe in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung darüber nachgedacht, inwiefern Technologiekonzerne die Wirklichkeit formatieren und wie sich die Zukunft unter den Bedingungen digitaler Technologien ausgestaltet, vor allem wenn diese durch quasi monopolhafte Unternehmen vertreten bzw. in unsere Welt gebracht (und entsprechend kontrolliert) werden. Eine seiner Thesen dabei ist, dass während Maschinen immer mehr wie Menschen reden, der Mensch zunehmend in Maschinencodes kommunizieren würde.

Dabei ist die Idee, dass Wirklichkeit »formatiert« wird, tatsächlich nicht neu. Religionen, und noch konsequenter die auf den verschiedenen Kirchen und Konfessionen basierenden Versionen, praktizieren das seit langer Zeit. Es ist sozusagen der Kern ihrer Existenz, die Wirklichkeit in ihrem eigenen und exklusiven Format erfahrbar zu machen. Und auch der Kapitalismus, umgesetzt durch die einzelnen kapitalistischen Unternehmen, hatte ebenfalls schon immer ein besonderes Interesse daran, dass bestimmte Standards gelten, die sie am besten selbst bestimmen und kontrollieren können – und somit auch die Konsument:innen, die Bürger:innen als politisches Wesen gleich noch mit. Je mehr der Staat und (im Prinzip) freie Markt zusammengehen, desto effektiver wird die Kontrolle über die durch Standards und Produkte gemachten Formatierungen.

Im Zuge der Digitalisierung oder, wenn es nach Nassehi geht, ihrer adäquat technologischen Ausgestaltung wurde diese Strategie durch die Entwicklung passender Technologien zunehmend besser und umfasst mittlerweile so ziemlich jeden Lebensbereich. Dabei hat nicht zuletzt die »Smartphonisierung« von Lebenswelten geholfen, womit der Zugriff auf die Welt direkt und unmittelbar geworden ist. Über die »Optionsmaschinen« lässt sich ein direkter Anschluss an eine global vernetzte Welt umsetzen. Gleichzeitig sind diese Geräte und die über sie vermittelten Standards und Formate eine wechselseitige Verbindung mit den Individuen und darüber hinaus mit den Standards und Normen von Gesellschaft eingegangen. Zu diesen Optionsmaschinen gehören auch Geräte wie Alexa und Co, also digitale Domestiken, die allein auf Standardbefehle reagieren und eine, wenn auch enorm große, aber insgesamt beschränkte Variabilität besitzen. Wie, was, wann und in welchem Kontext verstanden werden kann, haben diese Technologien im Zweifel bereits vorher entschieden. Darüber hinaus lernen sie aus den Vorlieben ihrer Nutzer:innen und stellen sich in begrenztem Maße darauf ein – wobei ein nicht unerheblicher Teil der Kommunikation von Menschen ausgewertet wird, diese Geräte also einen Lauschangriff mitten in die Privatsphäre ihrer Nutzer:innen vollziehen und das ohne richterlichen Beschluss und mit der scheinbaren Einwilligung der Nutzer:innen.

Nicht jede Art der Kommunikation muss hier anschlussfähig sein, und sei es nur als gezeigte Ablehnung, wie sie in der menschlichen Kommunikation zumindest als ausgedrückte Unverständlichkeit vorkommen kann. Was die Welt als erfahrbare Realität bzw. als Möglichkeit einer erfahrbaren Realität dann tatsächlich ist, wird durch die allgegenwärtige Technologie zu einem nicht unerheblichen Teil mitbestimmt. Smartphones (und andere Geräte) sind hauptsächlich Optionsmaschinen, also Geräte, über die eine Auswahl von Dienstleistungen und Waren gemacht werden sollen. Eine gleichberechtigte Kommunikation wird suggeriert, nur entbehrt sie tatsächlich vieler Merkmale einer solchen, weshalb die Formatierung von Welt hierüber so einfach ist. Was nicht zur Auswahl steht, existiert nicht. Zunächst nicht in der digitalen Welt, eventuell dann auch nicht in einer wie auch immer wahrgenommen Wirklichkeit, dem »richtigen Leben«, »da draußen« oder wie auch immer die Welt heißt, in der das Digitale zum primären Referenzpunkt und zur dominanten Vermittlungsart sozialer Beziehungen wird. Indem Technologiekonzerne sprachliche Codes determinieren, implementieren sie auch Sprachregelungen und schränken durch technische Voreinstellungen den diskursiven Raum ein. In Diktaturen konnten Dissidenten die Zensur noch mit subversiven Wortspielen und Witzen umgehen. In der künstlichen Umgebungsintelligenz hingegen kann man schon gar keine Systemkritik mehr formulieren, weil jede Spracheingabe a priori systemkonform sein muss, denn sonst würde sie zu einem Fehler geraten, der entweder im Sinne der Technologie berichtigt wird oder zu einem Ausschluss dieser Art von Mensch-Maschine-Kommunikation führt.

Wie sich dies auf soziale Beziehungen auswirkt, lässt sich nicht so einfach sagen: Auch ich halte diese Frage in diesem Zusammenhang nicht für die zentralste, wohingegen Fragen zur Kontrolle, zu den Möglichkeiten von Macht und politischer Herrschaft wesentlich näherliegen würden. Die Grundlage dafür wäre aber zu verstehen, was diese Art der Technologie für das Wissen über Technik und für das Technik-Handeln von Menschen bedeutet.

In Bezug darauf möchte ich folgende These formulieren: Das Wissen über Technik wird durch die Verbreitung digitaler Technologien nicht größer. Technikwissen, auch als emanzipatorisches Wissen über die Aneignung und damit auch die Selbstgestaltung von Welt verstanden, wird aufgrund der Art der Verbreitung als Konsumtechnik über die »Wischautomaten« der Optionsmaschinen eingeschränkt bleiben. Auch wenn es so aussieht, als ob die (jeweils) »junge Generation« den heutigen Lehrern und Eltern die Welt erklären muss und damit auch die Technik selbst, so wäre meine These, dass die Art der Technologien eben nicht über die sehr passive Nutzung hinausgeht. Darüber kann dann auch nicht die rege Beteiligung an der Kommunikation in sozialen Netzwerken hinwegtäuschen, die wie Lobe zeigt, bereits Teil der kontrollierten, formatierten Wirklichkeit sei. Bei den Kirchen kamen die Formatierungen der Wirklichkeit vor allem dann an ihre Grenzen, als die Gläubigen begannen selbst zu lesen, gepaart mit der Kulturtechnik der Reflexion und des Diskurses. Die vorgegebene Formatierung war irgendwann nicht länger aufrechtzuerhalten, Dissens entstand und Neues ergab sich – etwas vereinfacht, aber soll hier als Argument ausreichend sein.

Bezogen auf ein Technikwissen bedeutet das, zu untersuchen, inwieweit digitale Kompetenzen ausgebildet sein müssen oder welche Mindestkenntnisse es bräuchte, um informierte Entscheidungen jenseits der Auswahl von Optionen treffen zu können – dass es mehr sein muss, als zu wissen wie »ich twittere«, erscheint nachvollziehbar. Eine Beschäftigung mit den Dimensionen von dem Technik-Wissen, Technik-Können und Technik-Verstehen erscheint mir daher ebenso wichtig, wie die Erkenntnisse über das Potenzial der Technologien selbst – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten digitaler Technologien. Man mag hier zu Recht einwenden, dass diese Sichtweise blind oder nicht offen genug für die immer noch bestehenden emanzipatorischen Effekte der Digitalisierung sei. Dabei geht es mir hier nicht um eine Maschinenstürmerei, im Gegenteil halte ich einen informierten und kompetenten Umgang geradezu für elementar, um eben nicht in eine plumpe Ablehnung von Technik und diesem »neuen Zeug« zu verfallen. Mit Blick auf die Rolle von Normen und ihrer Genese in und durch die Vermittlung von Technologie halte ich es daher für vertretbar, hier vor allem die kontrollierenden und überwachenden Effekte besonders zu fokussieren. Normen bilden Teile eines Fundaments von Gesellschaft, konstituieren diese, ermöglichen Praktiken der Kontrolle und bieten somit eine Ressource für die Aushandlung und Ausgestaltung von Macht und Herrschaft. Die Frage nach der Normgenese unter den Bedingungen der digitalen Beschaffenheit und Ausgestaltung von Gesellschaft berührt hier also den Kern des Phänomens.

Nils Zurawski; 2021

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5606-0/ueberwachen-und-konsumieren/

https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

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